Gitarrenquartett in besonderer Besetzung
Die Idee
Mit der vor Jahren geforderten und umgesetzten Anerkennung der Ensemblewertungen im Wettbewerb Jugend musiziert und
den damit verbundenen neuen Chancen für eine Besetzungsvielfalt, haben auch die Ensembles für Gitarren
(Gitarrenorchester) eine erfreuliche, wenn auch noch nicht befriedigende, aber noch ausbaufähige Entwicklung erfahren.
Gemeint sind – neben den traditionsreichen und oft von einer Leiterpersönlichkeit geprägten Ensembles – Neugründungen
in Musikschulen, Vereinen und auch in der freien Szene.
Die publizierte Literatur wuchs parallel entsprechend der Bedeutung dieser neuen Zielgruppe bemerkenswert reichhaltig
und die stilistische Vielfalt reicht inzwischen von Originalkompositionen und Bearbeitungen alter Meister bis hin zu
Neu-Kompositionen und Arrangements aus dem Bereich populärer Musik. Der weitaus größte Teil dieser Werke liegt
allerdings in der Besetzung für Primgitarren vor.
Hier gilt es künftig aufzupassen, damit neben dieser Standardbesetzung auch die interessante und historisch belegte
Besetzungsvariante bzw. Erweiterung mit Oktav-, Terz-, Prim- und Quintbassgitarre (O.T.P.Q) nicht gänzlich in
Vergessenheit gerät. Das unbestrittene Phänomen der klanglichen und stilistischen Universalität der Gitarre dürfte
durch eine solche instrumentalpädagogische Kampagne sicher noch profitieren.
Wohin soll das führen, wenn wir uns in Unterricht und Konzertpraxis auch künftig nur an den zugegebenermaßen bequemen
und im Basisunterricht üblichen Primgitarren orientieren?
Streicher würden beispielsweise niemals auf die Idee kommen, ihre große Kammermusik nur durch das Spielen mit
gleichen Instrumenten zu realisieren, ohne Bratsche und ohne Cello. Für Holz- und Blechbläser gilt das Gleiche.
Nur die Oktavgitarren haben schon immer im Ensemble eine gewisse Rolle gespielt, allerdings oft mit der Erkenntnis,
dass die hohe e'-Saite einen „nervenden“ Verschleiß hatte. Das Problem ist jedoch dank einer innovativen Entwicklung
im Instrumentenbau und der Saitenfabrikation inzwischen gelöst. Aber wer geht den Schritt weiter und bereichert das
Ensemble mit Terzgitarren oder einem Quintbass und setzt diese Instrumente kreativ und alternierend im Arrangement
und in der eigenen Ensemblepraxis ein?
Dieser mutige Schritt in klangästhetisches Neuland wird die Gitarrenwelt sicher bereichern.
Die BDZ e.V. und die EGTA D e.V. begrüßen die Initiative zur Wiederentdeckung der Ensemblearbeit mit dieser
historischen Besetzung.
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Oktav-, Terz-, Prim- und Quintbassgitarre
O.T.P.Q - Gitarrenensemble
Die Geschichte
… ist schnell erzählt, wenn man sich auf den bedeutendsten Protagonisten der Ensemblebesetzung mit unterschiedlichen
Gitarren beschränkt: Heinrich Albert und sein Münchner Gitarren Quartett. 1909 bis 1914 konzertierte dieses Ensemble
erfolgreich mit Terz-, Prim- und Quintbassgitarre. Zwischen den beiden Weltkriegen formierte sich das Quartett neu
unter anderem mit dem weltbekannten Gitarrenbauer Hermann Hauser I als neuem Primarius. Alberts Geist und Einfluss
waren jedoch noch lange spürbar. Die Konzerttätigkeit des Quartetts wurde erst durch die politischen Veränderungen
Anfang der Dreißiger Jahre verlangsamt und schließlich beendet.
Die Keimzelle dieser farbenreichen Quartett-Besetzung war natürlich die Lautenpraxis der Renaissance, in der bei mehr
als zwei Spielern häufig mit unterschiedlich hoch gestimmten Lauten gespielt wurde. Seine Fortsetzung fand dies in
der Duoliteratur des 19. Jahrhunderts vor allem aus den Federn von Anton Diabelli und Joseph Caspar Mertz.
Die beiden Komponisten verwendeten fast immer die Terzgitarre für die erste Stimme.
Nach dem kriegsbedingtem Ende der O.T.P.Q-Entwicklung wurde diese Tradition in Deutschland allerdings mit wenigen
Ausnahmen nicht mehr fortgesetzt. Über die Gründe kann man nur spekulieren. Vielleicht hat es etwas mit dem
Wiederaufbau nach 1945 zu tun, in dem die Instrumentenbau-Industrie sicher nicht sofort wieder die ganze Palette an
Instrumenten anbieten konnte, denn in den angrenzenden Ländern, die solche Probleme weniger ausgeprägt hatten, haben
sich Spieltraditionen mit unterschiedlich gestimmten Gitarren halten bzw. entwickeln können.
Die Gegenwart
In Deutschland hielt die Tradition vor allem Bruno Hense in Berlin aufrecht, der mit seinem Gitarrenensemble
konsequent die alte Tradition weiter betrieb. Leider hatte seine Arbeit weniger Ausstrahlung auf den Rest der
Bundesrepublik als sie verdient hätte.
Die Gründung des Neuen Münchner Gitarrenensembles vor einigen Jahren passt aber gut ins Bild: auf Initiative von
Andreas Stevens bemüht sich das Quartett, einerseits auf (originalen) Instrumenten des frühen 20. Jahrhunderts die
Klangwelt des Heinrich Albert wieder zu erwecken und andererseits Komponisten für diese Besetzung neu zu gewinnen.
Seit zwei Jahren gibt es Unterstützung für die O.T.P.Q-Idee durch eine Artikelserie im „Auftakt“, der Fachzeitschrift
des BDZ. Dieter Kreidler und Johannes Tappert haben sich zum Ziel gesetzt, durch regelmäßige Information
der Entwicklung wieder Aufmerksamkeit zu verschaffen. Bisher sind drei Artikel erschienen:
- Auftakt 2/15: Johannes Tappert – Neue Impulse für das Ensemblespiel mit Gitarren – Einführung. Aufbruch in neue
Klangdimensionen mit Oktav-, Terz- und Quintbassgitarre.
- Auftakt 4/15: Rainer Stelle – 100 Jahre musizieren mit Terz-, Prim- und Quintbassgitarre in Deutschland
- Auftakt 2/16: Andreas Stevens – Neue Klänge mit alten Instrumenten. Das Neue Münchner Gitarrenensemble, ein
Klangkörper zwischen Rückblick und zeitgenössischer Musikschule
Die Reihe wird fortgesetzt.
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Fortbildungsseminar für Ensembleleiter
in Sangershausen, 10./11.11.18
Die Zukunft
Der BDZ Nordrheinwestfalen (Helmut Lang) hatte dankenswerterweise die Anregungen aufgenommen und veranstaltete am 28./29.10.17 in
Jülich das bundesweit erste Fortbildungsseminar für Ensembleleiter und interessierte Ensemblespieler. In diesem
Workshop wurden die Teilnehmer in Theorie und Praxis an diese neue Besetzungsvariante herangeführt.
Als Dozenten bei dieser Pionierfortbildung waren dabei Dieter Kreidler, Volker Höh und Johannes Tappert.
Das nächste Fortbildungsseminar findet statt in der Thüringischen Landesmusikakademie in
Sangershausen am 10./11.11.18. Organisiert und veranstaltet wird das Seminar vom BDZ, Landesverband Thüringen
in Person von Daniela Heise (die als Teilnehmerin beim ersten Seminar in Thüringen dabei war). Weitere Dozenten
werden Volker Höh und Johannes Tappert sein.
Die Info und Anmeldung für das Fortbildungsseminares ist auf Anfrage als PDF erhältlich. Bitte
per Email anfordern unter johannes@tappert.de
Das Seminar richtet sich an Ensembleleiter, interessierte Spieler aus Gitarrenensembles und
(NEU!) Lehrer, die Schüler auf Jugend musiziert 2019 für die Kammermusikwertung Gitarre vorbereiten, bzw. Dirigenten,
die ein Gitarrenorchester haben und damit beim DOW (Deutscher Orchesterwettbewerb) 2020 antreten möchten. Die
Landesausscheidungen für den DOW finden in den meisten Bundesländern schon im Jahr 2019 statt.
Die Wettbewerbsbedingungen der beiden Wettbewerbe, die
die Besetzung O.T.P.Q betreffen finden Sie HIER.
Sowohl die Instrumentenbau-Industrie, einige Gitarrenbaumeister, die Saitenmacher Industrie und ein Notenverlag sind
voll in die Unterstützung der Idee integriert. Im November stehen für die praktische Arbeit sowohl mehrere
Instrumentensätze, Saiten verschiedener Hersteller und mehr als 10 Notenausgaben für die O.T.P.Q-Besetzung zur Verfügung.
Die Teilnehmer an dem Seminar können sich unter vielfältigen Aspekten über die reizvollen Möglichkeiten der
neuen/alten Idee in Theorie und Praxis überzeugen. Zum Beispiel sind Bearbeitungen von Gitarre-Ensemblemusik für die
neue Besetzung nicht nur farbiger im Klang, auch der Schwierigkeitsgrad sinkt deutlich, weil die einzelnen Stimmen
weniger Lagenspiel erfordern. Neu erstellte Einrichtungen von Klavier-, Kammermusik- und Orchesterwerken sind
möglich, die mit vier Primgitarren (die „normale“ Gitarre) nicht realisierbar wären. Usw.
Wir sind sicher, dass es gelingen wird die Teilnehmer von der O.T.P.Q-Klang- und Musizierpraktischen Vielfalt zu
überzeugen.
Wir freuen uns auf Ihre Teilnahme bei der Thüringer Fortbildung zur Wiedergeburt einer – fast – vergessenen
Tradition.
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